© Historisches Museum der Pfalz Speyer
Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sind zentrale Errungenschaften unserer Demokratie, die fest mit dem Hambacher Schloss verbunden sind. Mutige Männer und Frauen haben dort im Jahr 1832 für die Gewährung eben jener Freiheitsrechte protestiert, die eine demokratische Willensbildung und eine pluralistische Meinungsvielfalt ermöglichen. Zugleich sind sie für die Einheit Deutschlands und für ein solidarisch verbundenes Europa eingetreten. So wurde die hier erstmals gehisste schwarz-rot-goldene Fahne zum Inbegriff für Freiheit, Einheit und Demokratie in Deutschland. Diesem historischen Erbe fühlt sich die Stiftung Hambacher Schloss verpflichtet.
In jüngster Zeit müssen wir erleben, dass verschiedene Gruppierungen versuchen, dieses Erbe – ebenso wie das Gedenken an andere Ereignisse und Personen der deutschen Geschichte – für sich zu vereinnahmen und zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren. Hierbei ist eine Tendenz zur Enthemmung zu beobachten, die nicht nur Maß und Verhältnismäßigkeit, sondern auch jeden Respekt vor der Geschichte und ihren Opfern vermissen lässt. Dies trifft auch auf den Organisator jener rechtspopulistischen Veranstaltungen zu, die in den letzten Jahren unter anmaßenden und irreführenden Titeln in Neustadt an der Weinstraße bzw. auf dem Hambacher Schloss durchgeführt wurden.
Vor diesem Hintergrund erklären wir: Wer in aller Öffentlichkeit demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker auf infame Art und Weise beleidigt1 und im Gegenzug einen „Meinungsterror“2 in der Bundesrepublik beklagt, wer Journalistinnen und Journalisten offen damit droht, „sie aus ihren Redaktionsstuben [zu] vertreiben“3 , der steht in keiner Traditionslinie mit mutigen Journalisten wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, die einst selbst aus ihren Redaktionsstuben und aus Deutschland vertrieben wurden. Wer eben jenem Philipp Jakob Siebenpfeiffer darüber hinaus absurde historische Vergleiche und die eigene politische Meinung in den Mund legt4 , betreibt einen unsäglichen Missbrauch von Geschichte.
Wer unsere rechtsstaatliche, freiheitliche Demokratie der Bundesrepublik als eine „Diktatur“5 bezeichnet, wer sie mit dem Nationalsozialismus, dem Stalinismus oder der SED-Diktatur vergleicht6 , der verharmlost jene Regime und deren Verbrechen in einer Art, die fassungslos macht. Vor allem aber verhöhnt er in schamloser Weise jedes einzelne Opfer, das unter den wahren totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts gelitten hat, emigrieren musste, gefoltert und ermordet wurde. Das durchschaubare Bemühen, sich selbst als Opfer zu stilisieren, überschreitet hier eine Grenze, die nach einem entschiedenen Widerspruch verlangt.
Wer ein Gesellschaftsbild propagiert, das von Feindbildern getragen ist und auf der Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen beruht, kann sich nicht auf das Hambacher Fest berufen. Vielmehr ging vom Hambacher Fest das Signal aus, dass das Bekenntnis zur deutschen Nation keiner Konstruktion sozialer, kultureller oder nationaler Feindbilder bedarf, wie es bei Vertretern des Nationalismus der Fall war und heute noch immer ist. Frauen und Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten, Deutsche, Franzosen und Polen demonstrierten 1832 für bürgerliche Freiheitsrechte, für nationale Einheit und europäische Solidarität.
Mit dem 2015 verliehenen Europäischen Kulturerbe-Siegel wurde das Hambacher Schloss als Versammlungsort für all jene gewürdigt, „die sich in Deutschland und Europa Gleichheit, Toleranz und Demokratie verpflichtet fühlen.“ Es ist bezeichnend und entlarvend zugleich, dass auf der im Juli 2020 im Hambacher Schloss durchgeführten rechtspopulistischen Veranstaltung die mit einem Preis gewürdigte Rednerin Weltoffenheit, Toleranz, Inklusivität und Vielfalt als Werte ihrer „Gegner“7 verächtlich machte. Tatsächlich treten wir mit Überzeugung für eben diese Werte ein. Wir treten dafür ein, das Hambacher Schloss als lebendigen demokratischen Erinnerungs-, Lern- und Diskussionsort zu erhalten und zu pflegen. In der kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Demokratiegeschichte sehen wir die Chance, die Wertschätzung für und die Verbundenheit mit unserer Demokratie und ihren Errungenschaften zu stärken. Dabei kann, darf und muss auch über die Demokratie selbst und Möglichkeiten ihrer Verbesserung diskutiert und gestritten werden. Gerade ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt eindrücklich, dass jede Generation aufs Neue darum ringt, was für sie Demokratie als Regierungs- und als Lebensform bedeutet. Wir sehen jedoch eine Grenze dort erreicht, wo unter Zuhilfenahme verantwortungsloser und abwegiger historischer Vergleiche unsere Demokratie delegitimiert werden soll, wo ihre Vertreterinnen und Vertreter diffamiert und wo Opfer autoritärer oder diktatorischer Systeme verhöhnt werden.
Die Stiftung Hambacher Schloss hat Vorkehrungen getroffen, damit eine Durchführung von Veranstaltungen, die dem Geiste dieses Ortes offen widersprechen, mit den zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln verhindert werden kann. Sollten wir dennoch eine neuerliche Veranstaltung dieser Art in den Räumlichkeiten des Hambacher Schlosses rechtlich dulden müssen, so tun wir dies in der Gewissheit, dass eine Vereinnahmung dieses Ortes durch rechtspopulistische Gruppierungen keinen Erfolg haben wird. Dafür ist das Hambacher Fest von 1832 in der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte wie auch in den Herzen und Köpfen der Bürgerinnen und Bürger viel zu tief verwurzelt. Sie wissen, wofür dieser historische Ort steht: Nicht für einen angsterfüllten, engherzigen Nationalismus selbsternannter Opfer, sondern für den Mut und die Freiheitsliebe demokratischer Patriotinnen und Patrioten und für ein solidarisch vereintes Europa.
Der Vorstand der Stiftung Hambacher Schloss
Neustadt an der Weinstraße, 16. April 2021
1 Max Otte: „Markus #Söder: übler Hetzer, Diffamierer und Möchtegern-Diktator“ (Tweet vom 13.11.2020).
2 Max Otte, in: YouTube-Video „Neues Hambacher Fest 2018“, Link: https://www.youtube.com/watch?v=Lx5iQ3Zlcuo, hochgeladen am 09.05.2018, abgerufen am 09.11.2020.
3 Zitat Dubravko Mandic auf einer Kundgebung Anfang Januar 2020 vor dem SWR-Funkhaus Baden-Baden, zu sehen in: YouTube-Video „Dubravko Mandic/AfD, droht den SWR. ‚Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben‘“, Link: https://www.youtube.com/watch?v=3Z_dt47nCGA, hochgeladen am 04.01.2020, abgerufen am 09.11.2020. Mandic nahm am 5. Mai 2018 an der von Max Otte angemeldeten Veranstaltung auf dem Hambacher Schloss teil und berief sich in einem Video-Statement auf Philipp Jakob Siebenpfeiffer: YouTube-Video „Das Neue Hambacher Fest 2018 (JF-TV Reportage)“, https://www.youtube.com/watch?v=DlYpTNewuXw, hochgeladen am 06.05.2018, abgerufen am 09.11.2020.
4 So geschehen in einem fiktiven Interview mit Siebenpfeiffer, veröffentlicht am 27.03.2021 auf: https://neues-hambacher-fest.de/aktuelles/. Darin heißt es u.a.: Frage: „Sie meinen also, es herrschen dieselben Verhältnisse wie zu Ihrer Zeit, wo Sie auch um die Meinungs- und Pressefreiheit kämpften? Siebenpfeiffer: Ja“.
5 Max Otte: „Dies ist meine erste #Diktatur. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt.“ Tweet vom 29.11.2020; ders.: „Fassungslos stehe ich vor den Anfängen der zweiten (oder dritten, je nach Zählung) deutschen #Diktatur. Ich kenne die Chef-#Querdenker. Menschen mit Herz und Mut.“ Tweet vom 22.03.2021.
6 Max Otte: „Bald heißt es von Angela #Merkel: ‚Wollt ihr den totalen #Lockdown?‘“ (Tweet vom 24.10.2020); Max Otte: „Angela #Merkel ist das Gesicht des gar nicht so sanften #Totalitarismus.“ (Tweet vom 26.08.2020); vgl. Rede von Vera Lengsfeld auf dem Hambacher Schloss vom 10.07.2020, https://vera-lengsfeld.de/2020/07/10/dankesrede/, abgerufen am 01.12.2020. Den ebenso ahistorischen wie abwegigen Vergleich des jüngst verabschiedeten „Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 ziehen u.a. Max Otte, Vera Lengsfeld und Markus Krall, die wiederholt bei den rechtspopulistischen Veranstaltungen auf dem Hambacher Schloss bzw. in Neustadt an der Weinstraße in Erscheinung traten.
7 Vera Lengsfeld: Dankesrede (s.o.).