© Historisches Museum der Pfalz Speyer
Am 28. Mai wurde in Neustadt an der Weinstraße die Veranstaltung „1832. Das Fest der Demokratie“ insbesondere auf dem Hambacher Schloss durch eine Ansammlung von rund 2.500 überwiegend weiß gekleideten Personen aus dem diffusen Spektrum der „Maßnahmenkritiker“, Coronaleugner, Verschwörungsgläubigen und Reichsbürger gestört. Am Nachmittag musste das Programm auf dem Schloss infolge der Störungen und aufgrund des Verhaltens jener Gruppe abgebrochen werden. Monatelange Vorbereitungen eines Demokratiefestes für alle Bürgerinnen und Bürger wurden von einer kleinen Gruppe mutwillig zunichte gemacht. Dies tut uns insbesondere für all jene engagierten Beteiligten leid, die mit eigenen Angeboten das Programm auf dem Schlossberg bereichert haben. Sie hatten unter den Pöbeleien sowie unter dem erzwungenen Programmabbruch besonders zu leiden.
Die nachfolgend geschilderten Störungen und Übergriffe gingen natürlich nicht von allen Teilnehmenden aus. Es kam auch nicht zu gewaltsamen Ausschreitungen, die ein Einschreiten der Polizei erforderlich gemacht hätten. Um es nachfolgend nicht bei pauschalen Einschätzungen und Bewertungen zu belassen, hat sich die Stiftung Hambacher Schloss dazu entschlossen, jene Vorkommnisse, die sich auf dem Schlossberg ereignet haben, möglichst genau zu dokumentieren. Die Schilderungen basieren auf über 20 Augenzeugenberichten von unmittelbar Beteiligten bzw. Betroffenen sowie auf einer intensiven Auswertung des umfassenden, von weiß gekleideten Personen hochgeladenen Video- und Fotomaterials. Das aus Sicht der Stiftung jederzeit besonnene Agieren von Polizei und Stadtverwaltung wird in dieser Dokumentation nicht thematisiert. Ziel der Aufarbeitung muss es sein, eine Wiederholung jener Szenen zu verhindern, die sich am 28. Mai ereignet haben. Veranstalter, Ehrenamtliche, Programmbeteiligte und die demokratische Zivilgesellschaft insgesamt können und dürfen es nicht hinnehmen, dass eine kleine Minderheit mit selbstgerechten, intoleranten und illiberalen Protagonisten durch ihr Auftreten und ihr Verhalten Veranstaltungen wie das Neustadter Demokratiefest planmäßig und mutwillig sabotiert. Da jene Szene bereits angekündigt hat, künftig auch weitere Feste oder Veranstaltungen – darunter auch Veranstaltungen für Familien – zu stören, sind wir alle aufgefordert, uns jener im Kern antidemokratischen Minderheit entgegenzustellen und ihnen nicht den öffentlichen Raum und schon gar nicht die Orte und Symbole unserer Demokratie zu überlassen.
Vorgeschichte des Demokratiefestes sowie des Aufzugs der weiß gekleideten Personen
Am 29. September 2020 hat der Stadtrat von Neustadt an der Weinstraße im Hambacher Schloss einstimmig einen Grundsatzbeschluss zur Profilierung von Neustadt an der Weinstraße als Demokratiestadt verabschiedet. Eines von mehreren damit verbundenen Zielen war es, 2022 mit der turnusmäßigen Ausrichtung eines Demokratiefestes zu beginnen. Am 2. November 2021 wurde das Grobkonzept des für den 28. und 29. Mai 2022 geplanten Demokratiefestes in einer öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses der Stadt Neustadt vorgestellt. Innenstadt und Schloss wurden dort als die zentralen Veranstaltungsorte benannt, die durch einen „Freiheitspfad“ verbunden werden sollten. Von Beginn an wurde großer Wert darauf gelegt, zivilgesellschaftliche Initiativen und interessierte Bürgerinnen und Bürger in die Planungen und Umsetzung einzubinden. Von diesem Angebot wurde reger Gebrauch gemacht.
Am 19. Januar 2022 hat der Neustadter Unternehmer Dr. Wolfgang Kochanek beim Neustadter Ordnungsamt für den 28. Mai 2022 eine Versammlung mit 30.000 Personen angemeldet, die vom Marktplatz zum Schloss führen sollte – also just jener Zeitpunkt und jene Orte, an denen das Neustadter Demokratiefest stattfinden sollte. Aus nachvollziehbaren Gründen erließ die Stadt eine einschränkende Verfügung, nach der eine Versammlung in jener angemeldeten Größenordnung nicht zeit- und ortsgleich mit dem Neustadter Demokratiefest stattfinden könne, wohl aber am 22. Mai an einem Ort, der jene angemeldete Teilnehmerzahl hätte fassen können. Von dieser Möglichkeit wurde kein Gebrauch gemacht.
Kleidung, Symbole und Positionen der weiß gekleideten Personen
Auf einer Querdenker-Demonstration in Landau am 24. April 2022 hat Dr. Kochanek die Idee propagiert, in weißer Kleidung am Neustadter Demokratiefest teilzunehmen, um sich allein schon äußerlich von den „Systemlingen“ abzugrenzen. Ein solches Vokabular diente in der Weimarer Republik dazu, die Demokratie und ihre Vertreter verächtlich zu machen. Zugleich hat Dr. Kochanek die Stadtverwaltung Neustadt mit dem Agieren der SED in der Endphase der DDR vergleichen – mithin also mit einem diktatorischen Regime, das für hundertfachen Mord und zigtausendfache politische Verfolgung verantwortlich ist. Die Stiftung Hambacher Schloss verurteilt solch verantwortungs- und schamlose Vergleiche.
Die insbesondere auf dem bewusst anonymen Telegram-Netzwerk aktiven „Freien Pfälzer“ haben die Idee von Dr. Kochanek frühzeitig aufgegriffen und massiv für eine Teilnahme in weißer Kleidung an der „Giga-Demo“ am 28. Mai geworben. Von ihnen stammen auch die Ideen zur programmatischen Inszenierung in Form von Plakaten mit Aufschriften wie „Die Weißen – für Frieden / für unser Grundgesetz / für eine direkte Demokratie“ etc. An jenem Samstag waren tatsächlich zahlreiche dieser Plakate zu sehen. Schilder mit identischem Layout und identischer Größe waren zuvor bereits bei anderen Querdenker-Demonstrationen zu sehen, Ende April auch auf einer prorussischen Demonstration in Pforzheim-Haidach, die sich gegen die „Corona-Diktatur und westliche Russland-Hetze“ richtete. Ein Zufall? Mitnichten. Abgesehen davon, dass auch am 28. Mai zahlreiche Personen aus dem Pforzheimer Querdenkermilieu teilgenommen haben, ist ein Blick auf die Positionen der „Freien Pfälzer“ notwendig, um die demokratische Camouflage jener Gruppierung in ihrer öffentlichen Selbstinszenierung zu enttarnen. Hier einige Auszüge aus deren Telegram-Kanälen:
Angesichts solch radikaler Positionen verwundert es nicht, dass am 28. Mai in Neustadt – wie überall in der Republik – die Szene der „Maßnahmenkritiker“ und Coronaleugner antidemokratische Rechtsnationalisten, Reichsbürger und radikale Verschwörungsgläubige angezogen hat. So wurden an jenem Samstag von mehreren weiß gekleideten Personen die Deutschlandflaggen verkehrt herum gezeigt – ein insbesondere unter Reichsbürgern häufig genutztes Zeichen ihrer Staatsverachtung. Ferner wurden mehrere Eiserne Kreuze, die Reichsflagge, die Preußenflagge, szenetypische Kleidungsstücke von Rechtsextremisten, eine schwarz-weiß-rote Fahne mit einem in rechtsextremen Kreisen häufig genutzten Slogan sowie Erkennungszeichen der „QAnon“-Bewegung gezeigt. Deren Anhänger verbreiten besonders krude rechtsextreme und antisemitische Verschwörungstheorien, nach denen eine konspirative, international agierende Elite Kinder entführen und ermorden würde, um deren Blut zu trinken.
All das sind Symbole derjenigen, die sich ein anderes, mindestens ein autoritäres politisches System wünschen. Dazu passt auch ein gezeigtes Schild mit der entlarvenden Aufschrift „Die Weißen für mehr Autokratie“.
Die angeführten Symbole, Fahnen und Flaggen sind für jeden Interessierten auf den zahllosen Fotos und Videos leicht zu erkennen, die auf unterschiedlichen Plattformen hochgeladen wurden. Auch die unter diesen Videos befindlichen Kommentare geben Einblicke in die teilweise gewaltsame Gedankenwelt der Sympathisanten. Ein besonders abstoßender Kommentar lautet: „Wenn ihr die verantwortlichen Hochverräter nicht bald aus ihren Häusern holt und unschädlich macht, wird es zu spät sein.“
Verhalten weiß gekleideter Personen am 28. Mai
Ziel der weiß gekleideten Personen war es, sich allein schon durch eine uniforme Kleidung abzusondern. Sie wollen nicht Teil der Gesellschaft sein, sondern als Gruppe wahrgenommen werden, die sich von den „Systemlingen“ (Zitat Dr. Kochanek) und „Diktaturleugnern“ (Zitat „Freie Pfälzer“) abgrenzt. Diese optische Selbstisolierung hat es den Mitwirkenden des Demokratiefestes erleichtert, die nachfolgend dokumentierten Vorkommnisse bzw. Übergriffe eindeutig den Angehörigen jener Gruppierung zuzuordnen.
Vereinzelte weiß gekleidete Kleingruppen haben sich bereits seit dem späten Vormittag auf dem Schlossgelände bewegt. Die Mehrzahl von ihnen zeigte keinerlei Interesse an den Programmangeboten. Offene Kommunikations- und Diskussionsangebote wie etwa „Building Conversation Rhein-Neckar“ (durchgeführt vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar und unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz) wurden mit höhnischen Fragen unter Generalverdacht gestellt („Von wem werdet ihr bezahlt?“; „Da steckt doch so viel Geld dahinter, was glaubt ihr, was die mit euch machen, wenn ihr nicht das tut, was die wollen?“) oder als „internationaler Quatsch“ verunglimpft.
Weiß gekleidete Personen versuchten ferner, die Anbieter einer weiteren dialogischen Mitmachaktion, in der es um Gespräche über Freiheit und ihre Grenzen ging, von ihrem Platz zu verdrängen. Ein „Fest-Forum“ zum Thema „Bedrohte Freiheiten“ stand – entgegen anderslautenden Falschmeldungen – allen Interessierten offen (auf den Internetseiten der Stiftung und der Stadt sowie in den offiziellen Programmflyern wurde zur Teilnahme eingeladen). Die infolge des Aufzugs der weiß gekleideten Personen notwendig gewordene Einstellung des Busshuttles sowie das weitestgehende Desinteresse der weiß gekleideten Personen am Programmangebot haben jedoch dazu geführt, dass zahlreiche interessierte und im Vorfeld bereits angemeldete Gäste nicht zum Schloss gelangen konnten und das Fest-Forum somit nur vor kleiner Kulisse stattfand. Die erste Wortmeldung eines weiß gekleideten Mannes bestand darin, ein ca. zweiminütiges Pamphlet von seinem Smartphone abzulesen, in dem die „Lügenpresse“ angegriffen und die Rechtmäßigkeit des russischen Angriffskrieges betont wurde. Nach dem Verlesen verließ der Mann den Saal. Erst nach dem Protest der Podiumsgäste kehrte er kurzzeitig zurück, ohne sich der Diskussion zu stellen.
All diese kleinen Szenen zeigen wie in einem Brennglas: Es mangelte nicht an Angeboten zur Diskussion. Vielmehr wurden die vorhandenen Möglichkeiten von Angehörigen der Querdenker-Szene entweder nicht angenommen oder sabotiert. Beim Weg in den Festsaal sowie bei ihrer Abreise ist den Podiumsgästen in Worten wie in Gesten pure Verachtung entgegengeschlagen („Kriegstreiber“, „Lügenpresse“, Mittelfinger, Pfeifkonzert etc.). So unterschiedlich politische Einschätzungen und Bewertungen sein mögen und müssen – wer Andersdenkende verachtet und pauschal diffamiert, schließt sich selbst aus der demokratischen Debatte aus und befördert ein unheilvolles Freund-Feind-Denken.
Vereinzelt kam es an den Ständen zu Diskussionen bzw. zur Konfrontation mit radikalen Positionen. So wurde etwa ein Banner des „Regionalen Bündnisses gegen Rechts“ mit der Aufschrift „Antirassismus“ von einer weiß gekleideten Frau mit dem Hinweis kritisiert, Rassismus an sich sei nichts Schlechtes, da er die unterschiedlichen Herkünfte der Menschen zu benennen helfe. Ein weiß gekleideter Mann behauptete, im Flyer der Neustadter NS-Gedenkstätte würde die Geschichte des Nationalsozialismus falsch wiedergegeben. Auf den Versuch eines Vorstandsmitglieds der NS-Gedenkstätte hin, die weiteren holocaustrelativierenden Aussagen des Mannes zu berichtigen, äußerte dieser den Vorwurf, „andere Meinungen nicht aushalten“ zu können. Eine andere Person warf den Standbetreuern der NS-Gedenkstätte vor, einen „Schuldkult“ zu betreiben. Mehrere Weißgekleidete brachten zudem in verschiedenen Varianten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Impfpflicht in Pflegeberufen identisch sei mit der Ausgrenzung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Stiftung Hambacher Schloss verwahrt sich gegen einen solchen antisemitisch aufgeladenen Geschichtsrevisionismus, der die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost und dessen Opfer verhöhnt.
Wer im Hinblick auf die Corona-Politik eine andere Position vertrat als die weiß gekleideten Coronaleugner, wer eine medizinische Maske trug oder wem pauschal unterstellt wurde, „das System“ zu vertreten, wurde vielfach auf das Übelste beleidigt (z. B. „Scheißefresser“). Alle Geimpften seien „krank“. Impfungen an sich seien gleichbedeutend mit „Selbstmord“. Der Gastronomie wurde vorgeworfen, „impfstoffverseuchte Waren“ zu verkaufen. Auf die Bitte, Rücksicht auf andere Festteilnehmer zu nehmen, wurde ein Getränkebecher in den Ausschankwagen geworfen.
Als am Nachmittag die Ansammlung der Weißgekleideten von der Polizei auf dem Plateau des Busparkplatzes unterhalb des Schlosses festgehalten wurde, war eine reguläre Fortsetzung des Festprogramms kaum mehr möglich. Den Aufrufen der „Freien Pfälzer“ zur Mitnahme von lärmenden Instrumenten und Pfeifen wurde in erheblicher Zahl Folge geleistet. Wer mit mehreren Dutzend Trommeln und Trillerpfeifen zu einer Veranstaltung anreist, tut dies einzig mit dem Ziel, diese Veranstaltung zu stören. Dies ist den Akteuren leider gelungen. Das Kindertheater „Panthea. Hüterin der Zeitreisenden“ und das Theaterstück „Die Mainzer Republik – frei leben oder sterben“ wurden von der Lärmkulisse immer wieder übertönt. Der französische Musiker Claude Bloch musste seinen Auftritt nach wenigen Minuten abbrechen. Er war als Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft eigens aus Neustadts Partnerstadt Mâcon angereist.
Gegen 16:40 Uhr wurde der Ansammlung von Weißgekleideten nach Abstimmung zwischen Polizei, Ordnungsbehörde Neustadt und Stiftung Hambacher Schloss der Zugang zum Schlossgelände gewährt. Über diesen Schritt hat die Stiftung Hambacher Schloss die Kooperationspartner und Standbetreiber/-innen nacheinander und somit nicht in der für jene Situation eigentlich erforderlichen Unmittelbarkeit informiert. Hierfür entschuldigt sich die Stiftung bei allen, die sich in jenem Moment unzureichend oder zu spät informiert fühlten. Parallel wurde seitens der Stiftung beschlossen, alle für den Samstagnachmittag und -abend vorgesehenen Mitmach- und sonstigen Programmangebote abzubrechen bzw. nicht mehr durchzuführen. Aus Sorge vor einem unkontrollierbaren Geschehen (weiß gekleidete Personen sprachen vielfach von einer „Stürmung des Schlosses“) wurde das Schloss für den Besucherbetrieb gesperrt, außerdem sollten sämtliche Aktionsfelder im Außenbereich so abgebaut werden, dass sie vor möglichen Zugriffen gesichert waren. Insbesondere auf der von der NS-Gedenkstätte und dem Regionalen Bündnis gegen Rechts genutzten Außenterrasse kam es in der Folge zu beschämenden Übergriffen. Von der oberhalb gelegenen Panoramaterrasse wurden Mitglieder des Bündnisses vereinzelt mit Müll beworfen. Einem Standmitarbeiter der NS-Gedenkstätte wurde zunächst vorgehalten, „die toten Juden würden sich im Grab rumdrehen, wenn sie wüssten, wie der Staat mit uns Impfgegnern umgeht.“ Am Ende des Disputs wurde ihm – selbst Nachfahre von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus – zugerufen: „So jemand wie Sie gehört nicht zu Deutschland“. Auch auf dem Neustadter Demokratiefest zeigte sich somit wie im gesamten Bundesgebiet, dass im Spektrum der Coronaleugner antisemitische Überzeugungen vorhanden sind und offen artikuliert werden.
Zahlreiche Beteiligte haben die Situation und das Auftreten der weiß gekleideten Personen als einschüchternd, bedrohlich sowie als aggressiv wahrgenommen. Die Stiftung Hambacher Schloss verurteilt all die geschilderten Übergriffe auf das Schärfste. In einer erschreckenden und auf dem Hambacher Schloss noch niemals dagewesen Anzahl wurden an jenem Samstag rote Linien überschritten. Um die strafrechtlich relevanten Überschreitungen kümmern sich Polizei und Staatsanwaltschaft. Doch es gibt auch rote Linien des sozialen Umgangs und des gegenseitigen Respekts. Wer dazu aufruft, ein für alle Bürgerinnen und Bürger offenstehendes Demokratiefest zu stören, wer es dazu missbraucht, seine Verachtung für die bundesrepublikanische Demokratie nach außen zu tragen, wer Andersdenkende diffamiert, antisemitisch beschimpft und anpöbelt, dem geht es nicht um die Verteidigung einer vermeintlich bedrohten Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Wer sich unter den Weißgekleideten zur Mitte der Gesellschaft zählt, muss sich die Frage stellen, ob er oder sie weiterhin bereit ist, sich vor den Karren einer zunehmend radikalen Minderheit spannen zu lassen, die vordergründig „Frieden“ und „Freiheit“ propagiert, deren Positionen aber von Verachtung für die Demokratie und deren Werte geprägt ist.
Die Stiftung Hambacher Schloss wird Konsequenzen aus den Ereignissen des 28. Mai ziehen. Zum einen wird sie bei künftigen Veranstaltungen dieser Art Vorkehrungen treffen, um eine bessere Kommunikation zu den Programmbeteiligten zu gewährleisten. Zum anderen werden künftig mutwillige Störungen von Veranstaltungen auf dem Schlossgelände ebenso wenig geduldet wie Symbole, mit denen die Verachtung gegenüber unserer bundesrepublikanischen Demokratie bekundet wird. Alle Maßnahmen werden im Bewusstsein einer besonderen historischen Verantwortung vorgenommen. Dies gilt zum einen für Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, die eng mit dem Hambacher Schloss verbunden sind. Zum anderen gilt dies aber auch für den besonderen Charakter des Hambacher Schlosses als ein zentraler Ort der deutschen Demokratiegeschichte. Als Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Orte der Demokratiegeschichte“ verfolgt die Stiftung Hambacher Schloss den Ansatz einer identitätsstiftenden Demokratieerinnerung: „Durch die Auseinandersetzung mit den demokratischen und freiheitlichen Traditionen sollen der Respekt gegenüber demokratischen Einrichtungen und die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu engagieren, gefördert werden.“ (https://www.demokratie-geschichte.de/ziele-und-werte/). Laut Satzung der Stiftung hat die „Nutzung des Ortes […] dem friedlichen, freiheitlichen und solidarischen Geist des Hambacher Festes [zu] entsprechen, und sie hat auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erfolgen.“
Das Hambacher Schloss war, ist und bleibt ein offener, demokratischer Erinnerungs-, Lern- und Diskussionsort. Kontroversen über politische und gesellschaftliche Themen wurden und werden weiterhin in unseren Veranstaltungen lebendig und leidenschaftlich ausgetragen. Verächter unserer Demokratie, ihrer Werte, Institutionen und Repräsentanten dürfen diesen Ort jedoch nicht für sich vereinnahmen. Dies zu verhindern, ist Verpflichtung der Stiftung Hambacher Schloss. Hierbei ist sie aber auch auf die Unterstützung der demokratischen Zivilgesellschaft angewiesen, die in ihrer überwältigen Mehrheit weiß, dass dieser Ort weder für Hass und Hetze noch für einen rückwärtsgewandten, angsterfüllten Nationalismus oder gar Radikalismus steht, sondern für ein geeintes, freiheitliches und demokratisches Deutschland und ein solidarisch verbundenes Europa.
Neustadt an der Weinstraße, 2. August 2022